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Whistleblowing

Mit der EU-Richtlinie 2019/1937 trat am 17. Dezember 2021 eine Verordnung in Kraft, die Unternehmen ab 250 Mitarbeitenden bzw. EUR 10 Mio. Umsatz p.a. zu einem anonymen Hinweisgebersystem verpflichtet. Ab 2023 wird die Grenze nochmals gesenkt, und zwar auf 50 Mitarbeitende.

 

Besonders interessant: der Schutz von Hinweisgebenden steht nicht nur Angestellten offen, sondern auch Instanzen und deren Beratern, Praktikanten, Bewerbenden, Aktionären oder Hilfspersonen von Lieferanten sowie Sub-Unternehmen wie auch den Unterstützern von Hinweisgebenden. 

 

Bedeutung für Schweizer Unternehmen

Die EU stellt den grössten Handelspartner der Schweiz dar. Auch Unternehmen in der Schweiz, die Zweigstellen oder Sitze in der EU mit mehr als 50 Mitarbeitenden betreiben, müssen bis spätestens 17. Dezember 2023 bzw. bei Unternehmen mit 250 oder mehr Personen an einem Sitz in der EU seit dem 17. Dezember 2021 für einen effektiven Hinweisgeberschutz sorgen.

 

Es gibt bereits eine grosse Anzahl Unternehmen, die auf freiwilliger Basis eine Meldestelle implementiert haben. Es ist davon auszugehen, dass weitere Firmen und Organisationen nachziehen werden, steigt doch das Bewusstsein für die Notwendigkeit von Compliance und Reputationsmanagement auch in der Schweiz stetig.

 

Dazu gehört etwa auch das Bewusstsein, dass das Unternehmens- und Reputationsrisiko deutlich höher ist, wenn keine offizielle Meldestelle implementiert wurde, die allfälligen Vorwürfen nachgeht und zur Lösung beiträgt.

Bedeutung für die Unternehmensführung

 

Wenn Mitarbeitende Missstände als Hinweisgeber (Whistleblower) bei der (anonymen) Meldestelle melden, muss diesen Vorwürfen innert vorgegebener Frist nachgegangen werden. Erfolgreich ist das Whistleblowing dann, wenn es im Sinne der Compliance-Trias – vorbeugen, erkennen und handeln – greift und über die Zeit präventive Wirkung zeigt.  Die Unternehmensführung und das ganze Management müssen Hinweise nicht nur ernst nehmen und Abhilfe schaffen, sondern auch alles Nötige dazu beitragen, damit Missstände oder entsprechende Verdachtsmomente gar nicht erst entstehen.

 

Dazu gehört ein verantwortungsvolles Führungsverhalten, das Bewusstsein über die eigene Vorbildrolle sowie und eine ehrliche und transparente Kommunikationskultur im Unternehmen. Aber auch die Sensibilität für Zusammenhänge und Perspektiven zu schärfen ist eine der täglichen Herausforderungen, wenn es darum geht, dass Abhängigkeiten und potenzielle Verstrickungen insbesondere durch persönliche Beziehungen nicht entstehen oder zumindest transparent gemacht und erklärt werden.

Es mag helfen, wenn zum Beispiel Aufträge an Dritte in einem Ausschreibungsverfahren geprüft und gemäss den festgelegten Kriterien vergeben werden, ohne dass persönliche Beziehungen dabei eine Rolle spielen. Doch es ist genauso wenig zielführend, wenn ein Auftrag an einen Dritten, zu dem eine gute und tragfähige Beziehung besteht und der Dienstleister mit dem Unternehmen, den Menschen und der Kultur bereits vertraut ist, nicht eingeladen wird aufgrund eben dieser Tatsache.

 

Es gilt also fallweise abzuwägen, welche Entscheidungskriterien der Sache und dem Ziel am besten dienen. Ein massgeblicher Indikator dafür liegt dann vor, wenn die Beweggründe für eine Entscheidung sachlich sowie transparent argumentiert und für alle involvierten Parteien gut begründet werden kann. Ebenso sollte ein Dritter auch sich selbst gut reflektieren und abschätzen können, wo sein Engagement allenfalls heikel sein könnte, um sich in einem kritischen Fall vorsichtshalber selbst aus dem Spiel nehmen. Genau dann verhält sich ein Dienstleister authentisch und glaubwürdig.

Am Beispiel eines Dienstleisters wie actively

Wir von actively haben den Auftrag erhalten, als Meldestelle für Mitarbeitende in Bezug auf den Persönlichkeitsschutz und Whistleblowing bei einem unserer Kunden zu fungieren. Wir haben diesen Auftrag unter den folgenden Bedingungen, die auch allen Mitarbeitenden offen kommuniziert wurden, angenommen: sobald eine Meldung eintrifft, beraten wir zusammen mit dem Meldenden, ob wir als Meldestelle in diesem Fall zielführend und neutral agieren können oder ob wir einen unabhängigen Dritten einbinden. Denn als Auftragnehmer sind wir nicht nur Meldestelle, sondern auch externer HR-Partner bei diesem Unternehmen und damit nicht wirklich unabhängig im Sinne des Wortes. Wir sind also in erster Linie beratend tätig und entscheiden fallweise, was der Sache und insbesondere der Lösung am besten dient. Wo nötig, ziehen wir Dritte bei und uns selbst zurück.

Auch persönliche Beziehungen am Arbeitsplatz können zum Problem werden

Schon vor über 20 Jahren hat mein ehemaliger Arbeitgeber – eine grosse Unternehmensberatung – eine klare Haltung in Bezug auf Abhängigkeiten persönlicher Natur gezeigt: Sobald Mitarbeitende untereinander in romantischen Beziehungen standen, musste geprüft werden, ob diese ihre Positionen weiterhin adäquat ausüben können oder ob es Befangenheiten gibt, die im Rahmen von Mitsprache- und Entscheidungskompetenzen zu vermeiden sind. 

 

So musste sich ein Paar – er: Steuerberater, sie: HR-Managerin – entscheiden, wer von beiden das Unternehmen verlässt. Man wollte damit vermeiden, dass insbesondere sie als HR-Managerin der Situation ausgesetzt wird, vertrauliche Informationen mit ihrem Partner zu teilen. Genauso ging es anderen Paaren, wenn ein Part Vorgesetzte:r und der andere ein unterstellter Mitarbeitender war. Auch hier war das Unternehmen konsequent und stellte die beiden Personen vor die oben erwähnte Entscheidung. Es war also nicht verboten, dass Mitarbeitende romantische, langfristige Beziehungen eingingen, aber es hatte die Konsequenz, dass einer der beiden das Unternehmen verlassen musste, sofern die Verbindung zu einer heiklen Situation führen konnte. Begründet wurde es damit, dass alle Mitarbeitenden ihre eigene Integrität wahren müssen, um in keinem Fall die wertvollen Kundenbeziehungen zu gefährden oder das Vertrauen in ihre eigene Kapazität im Unternehmen aufs Spiel zu setzen.

 

 

Damals erschien mir diese Regel hart und unverständlich, aber heute kann ich dieses Vorgehen als Zeichen der Professionalität durchaus wertschätzen. Ich selbst habe einige Male erlebt, was passiert, wenn persönliche Beziehungen im Unternehmen geduldet wurden. Es führte in jedem Fall zu Unruhe, Gerüchten und teilweise sogar zu Verleumdungen; es wurde gemauschelt und das Paar wurde auf Schritt und Tritt taxiert.  Kaum jemand konnte sich vorstellen, dass Personen, die eine romantische Beziehung unterhalten, ihren Partner gleich behandeln werden wie alle anderen Kolleg:innen. Das ist in den meisten Fällen tatsächlich äusserst schwierig, insbesondere dann, wenn es um Mitarbeiterbeurteilung, Beförderung, Lohnerhöhung etc. geht.

 

 

Egal welche Rolle wir bekleiden: wir müssen stets mitberücksichtigen, wie wir von anderen gesehen und wahrgenommen werden. Gerade als Führungskräfte oder auch im HR werden wir permanent beobachtet und beurteilt. Je weniger Gründe für Gerüchte vorliegen, desto besser können wir sachlich, objektiv und professionell agieren. Wir schützen uns also selbst, indem wir heikle Konstellationen beleuchten, reflektieren, entsprechende Konsequenzen ziehen und dabei auch immer transparent kommunizieren, warum wir etwas tun oder lassen.