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Lohntransparenz & Selbstorganisation

Insights von Greenpeace Schweiz

Unternehmen sollten in ihren Stellenausschreibungen konkrete Lohnbänder publizieren und im Rahmen ihres Angebots frühzeitig kommunizieren, findet nicht nur unsere Autorin Susanne Mosbacher, sondern auch Barbara Bommer, Human Resources Verantwortliche bei Greenpeace Schweiz. Schliesslich handelt es sich beim Lohn um eines der Themen, dass wir im Recruiting schon im ersten Kontakt mit den Kandidat:innen ausloten, um spätere Diskussionen und eine mögliche Absage aufgrund unterschiedlicher Vorstellungen zu vermeiden. 

Doch in der Schweiz ist der Lohn nach wie vor ein Tabuthema. Firmen scheuen sich davor, konkret zu sein. Warum weiss eigentlich niemand so recht. Denn tatsächlich wird der Lohn doch relativ früh im Bewerbungsprozess angesprochen. Warum also nicht gleich bei der ersten Interaktion mit Bewerber:innen mit der Katze aus dem Sack? 

 

Vor einigen Tagen hat mich ein Bekannter darauf aufmerksam gemacht, dass Greenpeace Schweiz in den Stellenausschreibungen jeweils das Lohnband für die Funktionen publiziert. Da es sich nicht um das einzige lohntransparente Unternehmen handelt – Bund, Kantone und andere öffentliche Verwaltungen sind in Sachen Lohn schon sehr lange transparent – wollte ich gerne wissen, was Greenpeace Schweiz dazu bewogen und welche Erfahrungen das Unternehmen mit Lohntransparenz gemacht hat.

Lohntransparenz bei Greenpeace

Im Interview mit Barbara Bommer erfuhr ich nicht nur, dass Greenpeace Schweiz bereits seit rund fünf Jahren Lohnbänder publiziert, sondern auch, dass das eigene Lohnmodell dazu mittels einer paritätischen Kommission aus der Belegschaft sowie einem NGO-Branchenvergleich erarbeitet wurde. Dafür wurden für alle Rollen Lohnbänder definiert, die sich primär an den Aufgaben und deren Komplexität sowie dem Dienst- und Lebensalter orientieren und nicht an den Personen, die diese Rollen ausfüllen.  

Barbara Bommer bestätigte im Gespräch, dass die transparente Lohnpolitik von Bewerbenden durchwegs positiv erlebt wird. Sie dient zudem als erleichterndes Selektionsinstrument bei der Rekrutierung, denn der Lohn ist bei Greenpeace nicht verhandelbar, sondern der Rolle entsprechend festgelegt und für alle jederzeit nachvollziehbar. 

 

Greenpeace erfährt eine hohe Nachfrage von Kandidat:innen im Arbeitsmarkt. Diese interessieren sich deutlich intrinsisch motiviert für eine sinnstiftende Aufgabe in einem selbstorganisierten Umfeld. Sie schätzen an Greenpeace das klare Profil sowie das Engagement für die Themen Nachhaltigkeit, Umwelt- und Klimaschutz. Die Ausschreibungen erreichen offenbar die richtige Zielgruppe und damit jene Bewerber:innen, die Sinn und ein hohes Mass an Selbstverantwortung in ihrem beruflichen Engagement suchen.

 

Eigenes Lohnmodell

Das von Greenpeace Schweiz erarbeitete Lohnmodell hat einen pionierhaften Charakter. Es ist aufgabenzentriert und sieht eine Entwicklung in die Breite – durch die Übernahme von anderen Rollen – anstelle einer Entwicklung in die Höhe, wie in konservativen Organisationsstrukturen üblich, vor. Die definierten Kriterien reflektieren die Komplexität der Aufgabe und den zu erbringenden Beitrag zur Erreichung des Unternehmensziels. Dabei ist die interne Lohnschere im Verhältnis 1:2 sehr klein: Der höchste Lohn ist gerade mal doppelt so hoch wie der tiefste. Die Kriterien sind nachvollziehbar und transparent sowie für alle Mitarbeitenden gleich. Sind neue Aufgaben identifiziert, werden entsprechend der agilen Organisationsform neue Rollen kreiert und im Lohnmodell abgebildet. Im Fokus bleibt dabei immer die Erfüllung der Ziele und des Zwecks der Organisation.

 

Benefits

Greenpeace kennt zudem attraktive Nebenleistungen wie zum Beispiel generelle Teilzeitarbeit, hohe Zeitautonomie und Weiterentwicklungsmöglichkeiten in Form von internen und externen Weiterbildungen, Rollenwechsel innerhalb der Organisation und «international Secondments» (Stage in anderen Länderbüros von Greenpeace). Ausserdem besteht ein Anspruch auf ein bezahltes Sabbatical von 12 Wochen im 8. Anstellungsjahr.

 

Die Rolle von HR in der Transformation

activelyWas ist denn nun die Bilanz nach einigen Monaten Erfahrung in der neuen Selbstorganisation, Frau Bommer?

Die Initiative zur neuen Organisationsform kam aus der Belegschaft. Das war also keine Top-down-Entscheidung, sondern ein Bedürfnis bei einem Grossteil der Mitarbeitenden, ausgehend von der Überzeugung, dass unser Wirkungspotenzial im hierarchischen Modell nicht vollständig ausgeschöpft werden kann. Eine breite Abstützung bei der Belegschaft ist zentral, um die anspruchsvolle Aufgabe des Modellwechsels anzugehen; wir hatten sehr gute Voraussetzungen, die uns sehr zugute kam.

 

Selbstorganisation

Die Selbstorganisation fordert alle auf, mehr Verantwortung zu übernehmen und mutig eigene Entscheidungen zu fällen. Damit dies effektiv möglich ist, muss man sich zwei Arten von «Können» bewusst sein: Das «Können» im Sinne von passenden Voraussetzungen zu schaffen – durch eine neue Struktur und entsprechende Prozesse. Aber auch das «Können» im Sinne von befähigt dazu zu sein – in Form von passenden Kompetenzen und einer förderlichen Unternehmenskultur. 

Wir sind den Prozess evolutiv angegangen. Die Struktur wurde mit Unterstützung externer Expertise entwickelt, die Prozesse sind unterdessen weitgehend angepasst (bleiben aber in laufender Justierung), bezüglich der Kultur und des Kompetenzaufbaus bedarf es am meisten Investment und Zeit; das bleibt ein laufender Prozess. Ich denke, wir sind wir auf gutem Weg und viele Vorteile werden durch das neue Modell unmittelbar spürbar. Z.B. können Projekt schneller, agiler und interdisziplinär umgesetzt werden. Natürlich gibt es auch temporäre Erschwernisse oder Rückschläge, die es auszuhalten resp. zu lösen gilt. Jeder verbesserungswürdige Aspekt zeigt aber auch das noch zu erreichende Potenzial auf und motiviert so zur Optimierung.

 

actively: Womit sollte man aus Ihrer Sicht beginnen? 

Aus meiner Sicht ist es sehr wichtig, den Ausgangspunkt für eine solche revolutionäre Veränderung gut zu kennen und sich als erstes zu fragen, ob wir als Organisation bereit sind für diesen sehr anspruchsvollen Weg und die Veränderung. Fragen wie: «Haben wir die passende Unternehmenskultur und sind wir bereit, aus der Komfortzone zu treten, herkömmliche Hierarchien mit traditionellem «oben» und «unten» loszulassen und uns nach einem gemeinsamen Zweck auszurichten? müssen zuerst geklärt werden. 

Äusserst hilfreich ist auch der Austausch mit anderen Unternehmen, welche Selbstorganisation bereits leben. Wir sind dankbar für die unterschiedlichen Erfahrungen, die bereitwillig mit uns geteilt wurden, und konnten Elemente übernehmen, die für uns passend waren. Ein anderes, zentrales Element für die erfolgreiche Implementierung einer neuen Organisationsform ist die kompetente, externe Begleitung, auch des HR-Teams, welches ja ebenfalls einen Veränderungsprozess durchläuft. Das Bewusstsein, dass die Veränderung nicht von heute auf morgen geschehen kann und sich manchmal langsam entwickeln muss, hilft im Prozess. Denn Veränderung braucht Ausdauer und Geduld sowie eine solide Basis, die das Geplante mitträgt. Es ist eine Herausforderung, die eigenen Kompetenzen konsequent wahrzunehmen und in die Selbstverantwortung zu gehen. Aber es lohnt sich!

 

actively: Welcher Aufwand steckt hinter der neuen Organisationsform?

Eine gemeinsame Haltung zu entwickeln und sie zu leben, bedeutet einen Kulturwandel innerhalb der Organisation. Dieser Wandel benötigt Zeit und ist ein Weg, der gemeinsam gegangen werden muss und ein hohes Commitment voraussetzt. Bei einer Organisationsentwicklung in dieser Form dauert es in der Regel 3-5 Jahre, bis sie gänzlich gelebt wird. 

Die Organisation muss sich bewusst sein, dass mit einer solchen Veränderung auch die traditionell gesetzten Rahmenbedingungen wie Reglemente und Weisungen angepasst werden müssen. Es folgt ein ständiger Dialog darüber, wer was macht, woher die Inputs kommen, was neu geregelt werden muss und wer was entscheidet. 

Die ganze Belegschaft und auch das HR-Team muss die eigene Fähigkeit trainieren einen guten «Selbstkontakt» zu pflegen und Resilienz in einem agilen, fluiden Umfeld aufzubauen und gleichzeitig die Zweckerfüllung der eigenen Rolle und das Umfeld auf dem Schirm zu haben. Die Arbeit wird für den einzelnen Mitarbeitenden anspruchsvoller, aber auch interessanter. Die Anpassung des Lohnsystems ist damit auch eine logische Schlussfolgerung: Eine breiter verteilte Verantwortung bedeutet eine Neuordnung der finanziellen Vergütung.

 

actively: Worin sehen Sie die neuen Aufgaben des HR-Teams in einem selbstorganisierten Unternehmen? 

Durch das neue Organisationsmodell sind auch im HR neue Rahmenbedingungen gefragt. Diese gilt es zu definieren und die Personalprozesse entsprechend anzupassen. Die einen Prozesse werden fundamental neu definiert, in anderen Fällen unterscheiden sich nur die involvierten Personen – oder eben Rollen.

Das klassische Performance Management gibt es zum Beispiel nicht mehr. Dieses wurde in einen retrospektiven, stärkenden Feedback-Prozess überführt. Aufgrund der neuen «Spielregeln» ist unser HR-Team stärker damit beschäftigt, Orientierung zu geben, zu befähigen und die Teams und Rolleninhaber:innen zu begleiten, damit diese wiederum die Prozesse der Zusammenarbeit in hoher Qualität umsetzen können. Das HR stellt überdies auf der individuellen Ebene und der Steuerkreis Organisationsentwicklung auf der Gesamtebene einen kontinuierlichen Lernprozess sicher, in welchem laufend Erkenntnisse gewonnen werden und agile Vorgehensweisen zur Normalität gehören.   

  

Portrait

Barbara Bommer engagiert sich seit 2013 in verschiedenen Funktionen im Human Resources bei Greenpeace Schweiz. Aktuell ist sie in der Rolle «Rahmensetzerin» und als Mitglied einer der drei Steuerkreise für die Definition der Grundsätze für die gesamtorganisatorische Zusammenarbeit mitverantwortlich, als «Prozess Designerin» für die effiziente Gestaltung der Personalprozesse und als «HR Advisor» als Befähigerin/Unterstützerin der Mitarbeiter:innen verantwortlich.

 

Als Mutter arbeitet sie selbst in einem Teilzeitpensum von 60 % und teilt ihre Arbeitszeit selbständig ein, einerseits orientiert am Unternehmenszweck (Purpose), anderseits an den persönlichen Bedürfnissen. 

Barbara Bommer arbeitet mit Leidenschaft und Herzblut für Greenpeace Schweiz. Sie sagt, sie würde sich sehr schwertun, jemals wieder in einem herkömmlich hierarchisch organisierten Unternehmen zu arbeiten. Für sie sind Mit-Unternehmertum, Selbstverantwortung und kompetenzorientierte Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwar herausfordernd, jedoch auch sehr motivierend und erfüllend.